»Marta nahm Jesus und seine Jünger als Gäste bei sich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Die setzte sich zu Füßen des Herrn nieder und hörte ihm zu.Aber Marta war ganz davon in Anspruch genommen, sie zu bewirten…« Lukas 10, 38 f
Brachzeit
Wundervolle goldene Oktobertage liegen hinter uns. Doch all die Farbenpracht kann nicht darüber hinwegtäuschen: Der Winter steht bevor, Zeit der Brache. Die Natur wird sich ausruhen. Brachzeit – verlorene Zeit? Die Notwendigkeit von Brachzeit, vom Wechsel zwischen Ruhe und Wachstum in der Natur, ist für uns moderne Menschen und für uns als Städter nicht mehr so unmittelbar nah. Wir sind gewohnt, dass es jederzeit alles gibt und mit allerlei Hilfsmitteln nachgeholfen wird, damit mehr wächst und vor allem, damit die Dinge schneller wachsen.
Das hat sich auch auf unser übriges Leben übertragen: Erfolg und Ertrag sind gefragt. Was nicht möglichst rasch »etwas bringt« wird aussortiert, abgeschafft. In einer Zeit, in der angeblich alles machbar ist, wenn man es nur die richtigen Leute organisieren lässt, scheinen Brachzeiten wenig Sinn zu machen. Wenn wir sagen, dass etwas brach liegt, meinen wir das meistens im negativen Sinn. Was brach liegt, muss aktiviert werden; Ressourcen sollten genutzt werden.
Menschen, die durch Krisen, Krankheit oder Alter bedingt plötzlich dazu gezwungen sind, kürzer zu treten, sich Ruhe zu gönnen, tun sich damit schwer. Brachzeit, so denken wir oft, ist verlorene Zeit.
Brachzeit – wertvolle Zeit!
Doch eigentlich wissen wir es besser: Die Natur braucht die Brachzeit, die Ruhezeit, um sich zu erholen und neue Kräfte zu tanken. Was während der Brachzeit wie tot und nutzlos aussieht, schlägt im Frühjahr wieder aus und entfaltet neues Leben.
Gott selber hat sich am Ende seines Schöpfungswerkes Ruhe gegönnt und Ruhe verordnet. Es ist sein großes Geschenk an uns Menschen, dass wir uns jede Woche einen Tag ausruhen und regenerieren sollen. Das alte Israel erhielt von Gott das Gebot, jedes siebte Jahr als Sabbatjahr zu halten, in dem sämtliche Felder unbebaut bleiben sollten. Brachzeit ist deshalb keine verlorene
Zeit, sondern geschenkte Zeit: Zeit zur Erholung, zur Erinnerung, zur Verarbeitung, zur Ruhe – wertvolle Zeit. Wohl den Menschen, die sich regelmäßige Brachzeiten, echte Ruhezeiten, gönnen und nicht das ganze Leben verzwecken und durchplanen. Wohl den Menschen, die zwischendurch aus dem Hamsterrad der allgemeinen Betriebsamkeit aussteigen und das tun, was dran ist – so wie es von Maria berichtet wird, als Jesus bei ihr und ihrer gastfreundlichen Schwester Marta zu Besuch war.
Manchmal können wir uns unsere Brachzeiten nicht aussuchen, sondern sie werden uns auferlegt. Wir fühlen uns ausgebremst; wir können nicht tun oder erreichen, was wir uns vorgenommen haben. Was, wenn wir auch solche Zeiten als von Gott geschenkt, gewollte und wertvolle Zeit zu sehen versuchen? Was, wenn wir solche Zeiten annehmen, aushalten, darin Gott suchen und spüren, wie er uns in der Tiefe begegnet, uns mit seiner Kraft und Gegenwart erfüllt?
Für viele ist der November ein gefürchteter, grauer Monat. Ich lade dazu ein, ihn in diesem Jahr einmal anders zu betrachten. Als wertvolle Brachzeit, in der wir zur Ruhe kommen und uns regenerieren können. Als Chance, uns neu auf Gott auszurichten, indem wir wie Maria still zu Jesu Füßen sitzen und danach fragen: Was ist wirklich wichtig? Was möchte Gott in meinem Leben neu zum Keimen und zum Wachsen bringen?
Irene Kraft